LVM III Die Klage der Elemente
Und ich sah, wie sich der Mann nach Norden wandte,
so dass er Norden und Osten sah.
Unter dem Himmelsgewölbe
dienten Winde, Luft, Grünkraft der Erde,
in denen der Mann
von seinen Hüften bis zu seinen Knien stand,
dem Mann von den Hüften zu den Knien wie ein Gewand.
Feuer und Leuchten der Luft schmückten dieses Kleid.
Von seinen Lenden gingen Elementarkräfte aus und
kehrten wieder, atmete der Mann aus und ein.
Und aus den Elementen der Welt hörte ich
zum Mann eine laute Stimme sagen:
"Wir können nicht laufen, unsere Bahn vollenden,
wie uns von unserem Meister bestimmt.
Mit ihrem schiefen Werk zerstören uns die Menschen
wie ein Mahlwerk.
So stinken wir wie Pest,
hungern völlig nach Gerechtigkeit."
Ihnen antwortete der Mann:
"Reinige Euch mit meiner Absicht wie mit Besen.
Peinige die Menschen so lange,
bis sie von überall zurückkehren zu mir.
Bereite in dieser Zeit viele Herzen nach meinem Herzen.
Reinige Euch, so sehr Ihr verdreckt,
in der Pein derer, die euch verdrecken.
Wer kann mich mindern?
Winde sind rauh geworden vom Gestank.
Luft erbricht Schmutz,
öffnen Menschen ihren Mund nicht,
das richtig zu stellen.
Grünkraft verdorrt
durch verdrehter Massen unrechten Aberglauben,
jedes Ding nach ihren Wünschen zu richten,
zu sagen:
"Wer ist dieser Herr, den wir niemals sehen?"
Antworte ihnen:
"Seht ihr mich denn nicht Tag und Nacht?
Seht ihr mich denn nicht, wenn ihr sät,
Regen Saat tränkt, so dass alles wächst?
Die ganze Schöpfung strebt zu ihrem Schöpfer.
Da Einer sie gemacht, versteht er sie vollkommen.
Aber der Mensch ist Aufwiegler,
teilt seinen Schöpfer in mehrere Geschöpfe.
Wer schuf in Weisheit Kreisläufe und Schriften?
Sucht in ihnen, wer euch schuf.
Solange die Schöpfung ihr Amt für eure Bedürfnisse erfüllt
habt ihr nicht volle Freude.
Ist Schöpfung aber in Dürre vergangen,
finden Erwählte höchste Freude im Leben aller Freuden."
Hildegard von Bingen - LVM III